Wann TUN besser ist als REDEN



Kennst du das?

Ein Problem sitzt zwischen dir und deinem Gesprächspartner wie ein dicker Buddha auf dem Tisch. Grinsend verteilt er Moderationskärtchen mit seinen mopsigen Händchen. Sein einziges Ziel ist, dich in der Debatte zu halten, sonst könntest du ja ins TUN kommen, ganz konkret an einer Lösung arbeiten. Dann würde sich aber viel ändern und das mag der dicke Problembuddha gar nicht.

Die Argumente bleiben die gleichen, versuchen sich aber - eingekleidet in Beschwichtigungsrhetorik, wertschätzende Kommunikation oder Vertrieblerdeutsch - als neue zu tarnen. Oder werden einfach nur lauter wiederholt. Gebetsmühlenartig.

Wir sind ja so reflektiert!  Du hast
  • die konkrete Handlung, die dein Wohlbefinden beeinträchtigt, genau beschrieben. 
  • die Gefühle, die dieses Tun bei dir ausgelöst hat, angemessen zum Ausdruck gebracht.
  • die Bedürfnisse formuliert, die hinter den Gefühlen stehen,
  • und um eine konkrete Handlung gebeten.
  • akzeptiert, dass auch "Nichterfüllung der Bitte" in Ordnung ist. (Ja, okay, zähneknirschend)
(Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg, auch "Giraffensprache genannt)

Zugegeben, das Konzept wirkt, allerdings nicht immer:

Der Mülleimer stinkt weiter vor sich hin, der Kühlschrank bleibt kalorienarm, die Heldenhösle liegen nach wie vor (weit) neben dem Wäschekorb.

Bub 1 haut Bub 2 die Schaufel auf den Kopf, Bub 2 plärrt, Bub 1 erhält eine wortreiche Belehrung über ethische Werte von seinen Eltern (kindgerecht natürlich). Bub 2 plärrt, da Bub 1 ihn wieder haut... Da capo.

Der Patient hat trotz langer, ausführlicher Gespräche noch immer die gleichen Beschwerden. Obwohl eine Massage seinen verspannten Nacken im Nu lindern könnte, neben der Erneuerung seiner Inkontinenzeinlage. Für den Moment jedenfalls.

Der Schaden wurde vom Verursacher nicht bezahlt oder der Haftpflichtversicherung gemeldet. Dafür wollte jener lieber über seine familieninternen Verwicklungen, die der Schaden nach sich zieht, sprechen - bezeichnenderweise ein Kommunikationswirt mit Diplom.

Dein Tangolehrer quatscht wie ein Wasserfall und du scharrst mit den Hufen, willst endlich TUN, ausprobieren, tanzen.

Der Missmut deines tanzfernen Lebensabschnittsgefährten über deine nächtlichen "Tangoeskapaden" oder den Glanz in deinen Augen, wenn du mit einem anderen tanzt, bleibt in sein Gesicht gemeißelt. Die Milonga morgen lässt du lieber aus. 

Was hast du dann von anstrengenden Wortgefechten nach allen Regeln der Kunst? 
Oft genau nix! 
Außer vertaner Zeit und Mühe.

 

Rentiert es sich, wertvolle Lebenszeit in sinnlose Gespräche zu investieren?


Sinnlos, weil deinem Vis-à-vis deine Wünsche einfach scheißegal sind?  
(Man möge mir die rüde Wortwahl gnädig entschuldigen. Und im weiteren Text die genderunkonforme männliche Betitelung, gilt natürlich auch für weibliche Wortamazonen.)

Weil er einfach nicht über seinen Tellerrand blicken will und/oder kann?

Weil er im Grunde nichts ändern will? Dich aber elegant durch "ergebnisoffene Kommunikations-Mimikry" ruhigstellen kann? "Schön, dass wir mal drüber geredet haben, Schatz!"

Sinnlos, weil das zu lösende Problem sich auch durch noch so viel "nur drüber sprechen" nicht (auf)löst?
Verschwinden könnte es in diesen "Manchmal-Fällen" durch konkretes Abarbeiten, durch TUN: schlicht selber in Aktion treten. Und dich ganz bewusst den möglichen Folgen stellen.
(Aber dann wär's ja fort, das Problem. Hältst du das aus?)

Wann lohnt es sich?


Ich mag es, mich mit meinen Mitmenschen konstruktiv auseinanderzusetzen, Einblicke zu erhalten und die Motivation des anderen zu verstehen. Vorausgesetzt, der andere ist an einem echten, ehrlichen Meinungsaustausch interessiert. Dann empfinde ich Gepräche - oder einen saftigen Streit -  als sehr lohnend und inspirierend, vor allem, wenn ganz neue Aspekte am Horizont klingeln, auf die ich allein nie gekommen wäre. Oder gar keine im Moment, wenn Geduld und Abwarten die Devise sind.

Aber an der Frage "Wann lohnt es sich zu reden und wann nicht?" knabbere ich trotzdem immer mal wieder. Wohlkommunizierende Giraffen tun sich so schwer beim Sprung über den motivations-psychologischen Rubikon.

Aus dem Entscheidungsdilemma helfen mir

"Hirschhausens fünf Fragen" - leicht adaptiert:


1. Welchen Erfolg kannst du erwarten, wenn du dich auf einen Dialog einlässt?
Ist dein Gesprächspartner wirklich an einer Lösung des Problems interessiert? Sieht er das Problem überhaupt als solches oder als gottgegebenes Wohlfühlarrangement, das ja nicht geändert werden darf? Will er dir zuhören? Ist er bereit, sich aktiv und eigenverantwortlich an der Umsetzung der Lösung zu beteiligen? Du auch? Überwiegt der Nutzen die Nebenwirkungen?

2. Welche Risiken bestehen?
Sind Nebenwirkungen möglich, die du nicht aushalten kannst?
Häufig: schiefe Blicke bis akute Verschlechterung deines Ansehens in deinem sozialen Umfeld, persistierende schlechte Laune, abgeatmet von deinem Partner, Strafbeschweigung, dein mögliches schlechtes Gewissen ob der Durchsetzung deiner Bedürfnisse, Konfrontation mit eigenen Schwächen und wunden Punkten und nicht zuletzt: Erwartet dich am Ende vielleicht ein Haufen Arbeit?

3. Wie gut ist der Nutzen belegt?
(Hier ist nicht der alleinige Nutzen für deinen Gesprächspartner gemeint! Muss manchmal im Vorfeld klargestellt werden. It takes two to tango!)
Hast du Erfahrungen mit genau diesem Gesprächspartner? Haben in der Vergangenheit Unterredungen zur Problemlösung beigetragen? Hat er nach dem Gespräch auch sein Verhalten geändert?

4. Was passiert, wenn du noch ein bisschen "watch & wait" betreibst? 
Ist es akut nötig, gerade jetzt drüber zu reden? Oder kannst du weiter beobachten, Informationen sammeln, abwarten? Was würde dann passieren? Geht die Welt unter? Vielleicht erstmal runterkommen und die inneren Gespenster sortieren? Auch dem anderen dafür Zeit zugestehen?


5. Würdest du das, was du vorhast, als Therapeut deinem Patienten oder deinem besten Freund raten?
Distanz zum Geschehen ist gut, bringt Ruhe ins Herz und klärt den Verstand.
Also? Was rätst du dir? Reden oder einfach mal machen?


Fazit: 
  • Betrachte die Situation und die Problemstellung.
  • Beantworte dazu für dich die fünf Fragen.
  • Entscheide, ob es sich lohnt, Liebesmüh in ein Gespräch zu stecken. Dann kommuniziere, was das Zeug hält. Häng dich rein! Lass dich überraschen.
  • Falls du absehen kannst, dass trotz aller Anstrengung der Zeiger auf "Schön, dass wir drüber geredet haben, Schatz!" bleibt, zieh' Konsequenzen, tritt selber in Aktion, setze um und steh dazu! 
  • Auch wenn's vielleicht kein Spaziergang wird.


Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel

zum neuen Blog: www.tangofish.de

 Quellen / mehr zum Thema:
Gewaltfreie Kommunikation: http://gfk-training.com/wp-content/uploads/2011/04/ef-skript-1.1.pdf
Rubikon-Modell: https://de.wikipedia.org/wiki/Rubikonmodell_der_Handlungsphasen

Kommentare

  1. Ganz toll! Sag ich immer (hat es Sinn, den anderen zu überzeugen?), und du solltest den Beitrag an Frau Merkel schicken, vor neuen Gesprächen mit Politikern, mit denen man eben n i c h t reden kann.

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  2. Dankeschön, lieber Peter! Frau Merkel ist informiert. Gugschduda: https://www.facebook.com/AngelaMerkel/?fref=nf
    (Falls es gelöscht werden sollte, hab' einen screenshot ;)
    Herzliche Grüße,
    Manuela

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Aktualisiert am 15.10.19