Schatz! Wir müssen reden!

Ein Muster-Wutbrief

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SO geht das nicht weiter!

Setz dich dahin, halt einfach mal die Klappe und hör mir zu!
Auch wenn dir deine altbekannten Einwände auf der Zunge brennen.
Kannst dir ja Notizen machen.

Ich halt das so nicht mehr aus!

Was soll ich denn noch alles machen? 

Soll ich die ToDos auf Klopapier schreiben? Das ist ausgerollt ganz schön lang. Aber alles Gelistete ist alleine halt nicht zu schaffen! Beim besten Willen nicht. Auch wenn ich Essen und Schlafen ausließe!

Bad putzen, einkaufen, Rechnungen bezahlen, Wasserhahn montieren, Löcher im Gewand flicken, Blogartikel schreiben, Tippen üben, Website optimieren, an den Buchprojekten arbeiten, neue Schuhbändel für die Tangoschuh besorgen, fortbilden, Zusatzdienste annehmen, die Praxis voll bringen, mit dem Kurzen Mathe, Deutsch und was grad ansteht, lernen, Freundschaften pflegen, zum Friseur respektive Zahnarzt gehen, die Steuer machen, den Müll runterbringen... Und das ist nur die Spitze vom Eisberg!

Da muss manches halt liegen bleiben! 
Später erledigt werden, 
"quick and dirty" 
oder gar nicht.  
 

Immer sind andere wichtiger!

Und zu diesem ganzen Wust schreibst du mir noch honorarfreie Fremdarbeiten auf die Liste - hochwichtig(!), hochdringend(!) - von deren pünktlicher Optimalverwirklichung abhängt, ob sich das Universum weiterdreht. Für den Auftraggeber. Und meine Sachen bleiben mal wieder liegen!

Sorry, dass ich (noch) Zeit und Nerven vertue, wenn ich mich über unverschämte Forderungen heftig ärgere - anstatt die Angelegenheit vollkommen emotionskontrolliert und effizient abzuwickeln! Aber auch hier habe ich - wenn du genau hinschaust - Fortschritte gemacht bezüglich Dauer und Hitzeentwicklung der Ärgerung.

Also lass mich einfach hin und wieder ein wenig traurig sein oder grantig! 
Das ist normal und geht inzwischen quasi nebenher, anschließend vorbei. Und gut ist's.

 

Du meinst wohl, ich strenge mich nicht genug an?

Schau hin! Dann würdest du sehen, dass ich mir den A... aufreiße, um das alles perfekt hinzubringen. Sogar beim Tangotanzen flüsterst du mir hin und wieder ins Ohr, das ginge noch besser, wenn ich mich zusammenreißen tät'.

Ach ja, perfekt: Muss denn immer alles perfekt sein? Wäre in manchen Fällen nicht ein befriedigend  akzeptabel? Dann hat das Waschbecken halt mal Kalkflecken. Fleißbildchenentzug, wenn die Steuer erst im April beim Finanzamt landet? Haare frisurlos, nur hochgesteckt? Beine unter der Hose unrasiert?

JA UND?

Wenn das überhaupt jemand bemerkt, geht die Welt davon nicht unter. Der Einzige, der mich deswegen für einen defizitären Deppen hält, bist du!

Ich weiß, ein "Nein!" zu "Kannst du mal geschwind..." passt dir gar nicht. Musst aber leider damit leben, dass darin oft eine pragmatische Lösung steckt.
Das wirst du schon verkraften. Stell dich nicht so an!

Hin und wieder Hilfe annehmen ist übrigens weder verwerflich noch schwächlich. Auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst, es gibt echt Personen, die mich gerne unterstützen!

Andere schaffen das doch auch!

Dein Killerargument! Dankeschön! 
Andere haben sich immer im Griff!


Andere können doch auch...
  • Nachtdienste schieben und zu Recht die Zuschläge kassieren
  • die gelben Säcke termingerecht an den Gartenzaun hängen
  • ein fröhliches Liedlein pfeifend, angetan mit einer gebügelten Bluse gleichzeitig den Wasserhahn polieren und  medizinische Fallbesprechungen im Internet verfolgen UND kommentieren
  • ein Haus bauen, mit zugehöriger Baumpflanzung 
  • ein Legohaus bauen, mit zugehöriger pädagogisch wertvoller Verzierung
  • Artikel in einer Stunde schreiben, veröffentlichen und 10.000 Leser haben
  • nur 5 Stunden pro Tag arbeiten und trotzdem so(!) viel(!) verdienen

Andere reagieren immer selbstbewusst! Haben immer den richtigen Spruch parat, lassen sich nicht an's Bein pinkeln. Und so weiter und so fort!

Du Blödel! Sich mit anderen zu vergleichen, ist der beste Weg, unglücklich zu sein! Such nur wie ein Trüffelschwein, du wirst sie finden, diese Jemande, die besser, schlauer, schöner, erfolgreicher etc. scheinen als ich. Da mach ich nimmer mit!


Ja, du meinst wohl, mir fehle es an Disziplin und Erfolg! Ich bin dir nicht genug?!


Besteht dein Begriff von Disziplin etwa darin, mich wie eine Leibeigene zu behandeln? 
An meiner Selbstoptimierung müsse ich schon noch arbeiten?
Das wäre alles NICHT GENUG! 
Ja, was denn noch alles?
Bin ich ein Roboter oder was?

Nicht genug Erfolg?! Ich solle mir doch andere in meinem Alter anschauen. Die haben's doch auch geschafft: nimm die dicke Klassenkameradin von damals! Die hat eine gutgehende Privatpraxis (Ärztin), zwei wohlerzogene Kinder und ein Haus in bester Gegend!

Dabei ignorierst du standhaft, was ich - gerade in den letzten Jahren - allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft habe. Mit zwar entwicklungsfähigem Zeitmanagement, aber dafür einem Haufen Geduld und Spucke. Obwohl mir eine ganze Menge Knüppel zwischen die Füße geworfen wurden, wachsen einige Pflänzchen wirklich gut! Ist das alles nix wert?

Übrigens: Dass die Dicke von damals mit Silberlöffelchen in der Gosch'n bequem studieren konnte und wahrscheinlich schon Zeit ihres Lebens auf einem dicken Budgetpolster für berufliche Pläne gesessen ist, lässt du unter den Tisch fallen. Auch dass deren Kinder von einer Kinderfrau wohlerzogen werden. Zu welchem Preis solche Töchter und Söhne das sippeneigene Vermögen nutzen dürfen, verschweigst du wohlweislich. Ich kenne aber den Tarif! Ist mir zu teuer. Also lass mich damit zufrieden!


Hör auf, mir ein schlechtes Gewissen einzureden!

Arbeite ich, sagst du mir, ich wäre eine Rabenmutter. Bin ich als Muttertier unterwegs, wirfst du mir vor, mich in der typisch weiblichen Kuschelecke verstecken. Tangotanzen? Ineffektiv! Das ist weder Familien- noch anderweitig als "Arbeit" gültig. Nur irrelevanter Luxus.

Lass mich mit diesem Quatsch endlich in Ruhe!

Ich arbeite wirklich gerne! In der Stellenbeschreibung für Mütter steht (glaub' ich): "Sei ein Vorbild." Ist es also verwerflich, wenn ich meiner Brut vorlebe, dass es ganz cool ist, wenn man sich selber versorgen kann? Eben nicht auf externe geldige Vitaminspritzen angewiesen ist, um sein Leben zu meistern?

Familienchillen inklusive eisvertilgend Mau-Mau spielen ist doch keine Zeitverschwendung! Spinnst du? Außerdem ist es eine spannende Sach' zu verfolgen, wie ein Krümel sich zur Torte entwickelt. Oder Kaisersemmel? Schauen wir mal.

Und Tango? Hey, ich kann doch nicht immer nur arbeiten! Und der Krümel wächst auch mal ein paar Stunden ohne mich weiter. Tango ist Nahrung für die Seele. Und ich werde jetzt auf keinen Fall anfangen, Gründe wie "Depressionsprophylaxe" oder "TanzSPORT" in den Ring zu werfen. SO muss ich mich vor dir echt nicht rechtfertigen!


Du meinst wohl, ich wüsste nicht, was ich will?

Doch. Meistens.
Aber muss ich das immer so genau wissen? Muss ich so genau wissen, wo ich in zehn Jahren stehe? Muss ich immer den ultimativen Plan in der Kitteltasche haben? Mit Zwischenzielen und haargenau definierten Anzeichen, ob ich diese auch erreicht habe? Immer den Plan B (bis Plan Z) parat haben? Darf ich denn nix einfach auf mich zukommen lassen?

Es läuft doch! Angenehme, inspirirende Arbeit, Zeit für Kind und Kegel, Futter für Hirn und Tangofüße. Diridari stimmt auch. Also, was willst du?!

Nix bleibt, wie's ist: Die Welt funktioniert nicht ausschließlich nach deinen Plänen. Das ist eine Illusion, hübsch zwar, an der Alltagstauglichkeit mangelt's aber schon gewaltig. Die Menschen im Umfeld sind keine Statisten, haben eigene, unkalkulierbare Pläne. Arbeits(platz)- und Wettbewerbsbedingungen können sich ändern, Kunden sterben oder ein Umzug wird nötig. Sogar die Tangoszene kommt heute anders daher als vor zehn Jahren. Was ist dann mit deinem ultimativen Plan?

Lass mich halt einfach ein bissel flexibel bleiben! Was weiß denn ich, was mich in zehn Jahren interessieren wird, was ansteht, welche Möglichkeiten verschwunden sein werden und vor allem, welche feinen Chancen sich ergeben werden. Mir Sorgen machen und Lösungen finden werd ich schon, wenn's soweit ist. Da fließt noch viel Wasser den Lech hinunter!


Lass mir einfach mein' Ruh'!

Lass mich halt einfach JETZT, heute das tun, was ansteht!
Und damit zufrieden - wenn nicht sogar glücklich sein.


Sonst folgen Konsequenzen, die dir nicht gefallen werden.
Host mi?

*******
Diese Brief kannst du natürlich 

AUCH 

deinem Ehegatten, Freund, Kind oder (in den Formulierungen etwas angepasst) deinem Chef vorlesen. Bringt aber im Off-Label-Use erfahrungsgemäß nicht viel, da falscher Adressat.

So richtig wirksam wird der Brief, wenn du ihn dir selber vorliest, dich selbst ansprichst. 

Ich mach das, wenn's mal wieder nötig ist. Ehrlich! In Folge werde ich erst muffig, grantele mich ein paar Stunden durch die Welt, bis ich dann beschließe, ein wenig netter zu mir zu sein. 
Das tut gut! Die Gelassenheit kommt zurück. 

Probier's aus! Selbstverständlich darfst du Aspekte hinzufügen oder streichen. Fühl dich frei! Keine Hemmungen. Aber versuche, nur so streng wie nötig mit dir zu sein ;)

Der Minibuddha auf dem Fuß meines Bildschirms lächelt. Und ich verstehe wieder seinen Glückskeks-Spruch, auf dem er so gerne sitzt: "Liebe lehrt tanzen."

Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel

zum neuen Blog: www.tangofish.de

Kommentare

  1. Gut gedacht und fein geschrieben !!
    ... so zwischen "Löcher im Gewand flicken, "
    und "Website optimieren" ... ;-)

    Ganz im Sinne einer neuen Variante der "professionellen Selbstfürsorge" z.b. bei YouTube zu finden unter dem Stichwort " mindful self compassion "

    ... Darunter viele starke Frauen ... ;-)
    Also generell sehr empfehlenswert!

    https://m.youtube.com/watch?v=xyjLKgfV7Sk

    https://m.youtube.com/watch?v=tJD6RSWmabE

    https://m.youtube.com/watch?list=PLr_6bhNUrsXkqihEZZkRcnIwLfnq_Nft4&v=_jQOzLic80Y



    Falls Du es als Schleichwerbung empfindest (was es nicht sein soll), dann kannst Du die Links gerne löschen ..



    Beste Tango Grüße,
    Michael Fischer

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Aktualisiert am 15.10.19