"Mein Leben als Schiffskater" - Gastbeitrag von Peter Ripota
Wieso geht man ausgerechnet zum Tango?
Sein Leben als Schiffskater |
Erfahrungsgemäß ist es ein schier unmögliches Unterfangen, Non-Tangoistas diese ganz besondere, beihnah magnetische Anziehung verständlich zu machen, die der Tango argentino auf uns „aficionados“ ausübt.
Und selbst unsere tangoverrückten Kollegen können dir (und sich) die Tiefe dieses Verlangens oft nur schwer erklären. Enthusiastisch werden gerne als Tatmotive genannt:
Die Musik!
Die Freiheit der Improvisation!
Das so intensive Erleben des Augenblicks - umarmt und umarmend!
In Zauberreichen schwebend alle - wirklich alle - Emotionen ein- und ausatmend! Hossa!
Trotz aller sichtbaren Begeisterung bekommst du hilflose, dürre Worte geliefert, die nur an einem kleinen Teilaspekt kratzen können: Pressemeldungen vom Großhirn.
Was genau bewirkt die Faszination für Tango argentino denn nun wirklich?
Bei wem? Und warum?
Braucht man, um Tango zu lieben, eine eigenartige Persönlichkeitsstruktur? Falls ja, welche?
Ist es hilfreich, ein bissel zu spinnen? Falls ja, wie? Spinne ich ein bissel, weil ich Tango tanze oder tanze ich Tango, weil ich ein bissel spinne?
Warum tu ich mir das immer wieder an? Körbe? Sitzenbleiben? Tangokrisen? Stochern in fadem Schrammel? Weite Anfahrt, Parkplatzsuche, Großstadtarroganz?
Warum geht man ein andermal nach einer Milonga so vor Glück bebend nach Hause - tangosatt - obwohl man in der Musik schwimmend das gesamte Spektrum der Gefühle durchmisst - Blut und Schweiß und Tränen? Die Liebe und das Leben und all das - die volle Dosis, konzentriert in ein paar Tänzen?
Oder bilde ich mir das alles nur ein? Sind wir Freaks? Wenn ja - welcher Art? Oder ist Tango einfach nur Tango? Träumen wir? Oder was? Fragen über Fragen...
Um den Antworten ein wenig näher zu kommen, hilft es vielleicht, einem „Milonguero viejo“ zu lauschen. Nach unendlichen Strapazen, therapiedurchgemühlt, hat er seinen ureigenen Grund gefunden, warum er ausgerechnet Tango tanzen muss.
So ist es mir eine große Ehre und seefrische Freude, dir Peter Ripotas Geschichte „Mein Leben als Schiffskater“ präsentieren zu dürfen.
Dieser Artikel erscheint zeitgleich in Peter Ripotas „Notizen aus dem schwarzen Loch“:
http://ya0m.r.bh.d.sendibt3.com/33i6anw17fl.html
Bühne frei, ahoi und viel Vergnügen!
Mein Leben als Schiffskater
Nachdem keine Therapie funktioniert hatte, um mich von meinen diversen seelischen Leiden zu befreien; nachdem ich vergeblich Verhaltens-, Gruppen-, Gesprächs-, Psycho-, Logo- und Magnetfeld-Therapie versucht hatte, riet mir meine Therapeutin zur Erforschung meines früheren Lebens. Und siehe da: Durch diese Erkenntnisse ließen sich die Seltsamkeiten meiner jetzigen Existenz endlich erklären!Was mich schon immer wunderte: Ich liebte alles, was mit dem Meer zu tun hat, von Hans Albers über Freddy Quinn bis zu argentinischen Tangos, die zwar nicht vom Meer, wohl aber von viel Sehnsucht nach der Heimat (jenseits des Meeres) handeln. Dabei gibt es in meiner Heimat kein Meer, keine Seemänner, und getanzt wird Walzer, nicht Tango. Doch bei aller Liebe zum Meer: Wasser in größerer Menge finde ich furchtbar. Schon in einer Badewanne mittleren Ausmaßes habe ich Angst vorm Ertrinken. Aber Kreuzfahrten liebe ich, da kann ich stundenlang aufs Meer starren. Doch Reingehen ist nicht meine Sache.
Die Gründe dafür wurden mir klar, als ich mein Leben als Schiffskater neu erlebte, auf irgendeinem Piratenschiff, wobei der Unterschied zu normalen Frachtschiffen nicht so klar war - und mich auch wenig interessierte. Das Leben als Schiffskater ist etwas anders als die meisten glauben. Meine Hauptaufgabe war laut Anstellungsvertrag (ja, wir Katzen hatten damals noch Rechte, ganz ohne Gewerkschaft!) das Jagen und Vernichten von Ratten, die überall auf dem Schiff herumliefen. Aber das tat ich nicht. Die Menschen haben so komische Vorstellungen von der "Natur", bei der es angeblich nur ums Überleben des Besseren geht und jeder jeden frisst, sofern dazu fähig. Kompletter Unsinn, den sich ein magenkranker Engländer mit viel Bart und wenig Haaren ausgedacht hat. Ich hab mich, wie alle Schiffskatzen, mit den Ratten gut verständigt. Ich ließ sie in Ruhe, sie ließen mich in Ruhe. Sie kriegten von mir gelegentlich was zum Fressen, das mir nicht schmeckte (z.B. dieser widerlich versalzene Speck), und sie waren froh, wenn ich ab und zu ihre Bevölkerung (nach ihren Wünschen) ein wenig dezimierte. Ansonsten kamen wir gut miteinander aus. Sie versteckten sich bei Inspektionen, ich warnte sie davor. Denn was die Menschen vorhatten, wusste ich immer. Wir Katzen können zwar nicht verstehen, was die Menschen über ihre seltsamen Laute einander mitteilen - aber ihre Gefühle, ihre echten Wünsche und Intentionen kennen wir sehr wohl.
Als wohlerzogener Kater nahm ich regelmäßig an den Mahlzeiten in der Offiziersmesse teil. Pünktlich eine Viertelstunde vor Beginn des Essens saß ich auf meinem Platz neben dem Kapitän, dann machte ich meine Runde und holte mir von jedem, was mir zustand. Manche Matrosen waren so verfressen, dass sie alles in sich hineinstopften, und dabei fiel ihnen so viel aus ihren Mäulern, dass ich die Sachen nur zusammenwischen musste. Einer redete ununterbrochen, bis ich ihm mal während seiner Elaborate mit meiner Pfote was aus dem Mund holte, zum allgemeinen Gelächter der anderen.
Doch das Üble auf dem Schiff war das Wasser. Wenn es regnete, das ging ja noch. Ich verkroch mich unter eine Plane und schleckte dann mein Fell trocken, bis mein Magen voller Haare war. Aber wenn Sturm aufkam, gischteten die Wellen über das Deck, und es gab keine Flucht vor ihnen. Das Salz kriegte ich nicht mehr aus den Haaren, ich klebte und roch nach Pökelfisch. Widerlich. Dafür spielte Hein, der Künstler, mit seiner Donald-Duck-Mütze und den Pluderärmeln, am Abend auf seinem Schifferklavier (er nannte es "Concertina") melancholische Stücke, von denen er behauptete, es wären Tangos, und er hätte sie in Buenos Aires aufgeschnappt. Die anderen tanzten dazu. Naja, Tango war's wohl keiner, mehr ein Sirtaki, oder ein schottischer Reigentanz, aber egal. Die Musik hat mich fasziniert, ich tanzte mit, natürlich auf meine Art - geschmeidig, elegant und musikalisch, eben katzenhaft.
So führte ich ein erfülltes Leben, bekam meine Schmuse-Einheiten von den Männern, durfte im Bett des Kapitäns schlafen (wenn ich ihm vorher eine tote Ratte überreichte, sozusagen als Gastgeschenk), blieb in den Häfen an Deck (an Land gab's Leute, die Katzen aßen - Barbaren!), und alles wäre gut gegangen, hätten meine Mannen nicht eines Tages ein anderes Schiff gekapert. Sie nahmen die Mannschaft gefangen und entsorgten sie später im Meer (wir hatten zu wenig zum Essen für all die hungrigen Mäuler). Nur die eine Frau, die sich als Matrose getarnt hatte, die behielt der Kapitän, aus erzieherischen Gründen, wie er sagte. Was er damit meinte, sagte er nicht; vermutlich brachte er ihr die Grundlagen einer erfolgreichen Navigation bei. Das Problem war nur ihr Anhängsel, ihre Muschi. Ich meine ihre Katze, ein verzogener Fratz, verwöhnt, verweichlicht, durchtrieben und arrogant. Ich wollte, wie es meine Art ist, mit ihr Freundschaft schließen, aber sie ließ mich abblitzen. Schlimmer noch: Sie schaffte es irgendwie durch falschen Charme, meine Stelle beim Kapitän und bei den Matrosen einzunehmen. Ich wurde zum Nichts. Ein von mir angezettelter Aufstand meiner Rattenfreunde gegen sie lief ins Leere, denn sie flüchtete in die Kabine des Kapitäns und verriet den Haufen Langschwänze an den ersten Offizier, der mit den armen Vierbeinern kurzen Prozess machte, soweit er ihrer habhaft wurde. Ich verzog mich in den finstersten Winkel des Schiffs, wo es nach Faulwasser, Stinkefisch und Schimmelholz roch. Das war kein Leben.
So beschloss ich, trotz aller Gefahren, mit meinen Rattenfreunden das Schiff zu verlassen. Da war eh nichts mehr zu holen. Im nächsten Hafen (keine Ahnung, wo) marschierte ich von Deck, markierte zum letzten Mal den Landungssteg und machte mich auf die Suche nach - wonach? Die anderen Katzen im Hafenviertel dieser verkommenen Stadt (war das Buenos Aires?) schreckten mich ab, sie waren verwahrlost, verhungert, ungebildet und voll roher Scherze. Allein gefiel's mir aber auch nicht, doch die Katze meiner Träume fand ich trotz intensiver Suche nicht. Ich fühlte mich wie in den Texten dieser Tangos, verraten, verlassen, verfemt, und in meiner Verzweiflung tröstet ich mich mit dem Gedanken: Vielleicht findest du sie ja im nächsten Leben...
Gut, dass er wohl gestorben ist.
Drum tanzt er wieder - heute!
Vielen Dank an Peter Ripota!
Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel
* Mehr von Peter Ripota:
http://newsletter.peter-ripota.de/archiv-de-3929.html
Zumindest warst du nicht diese Schiffskatze, an die erinnere ich mich auch noch in diesem Leben ... und danke für die Einleitung!
AntwortenLöschenGern geschehen und nochmal vielen Dank für deine zauberhafte Geschichte!
LöschenUn DIESE Schiffskatze war ich echt nie... hoffe ich...