Liebes Tagebuch: Manchmal bin ich froh, dass....
Geht's noch? Schau genau! |
Eine Milonga, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2017. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Tango argentino, das mit seiner Besatzung seit Ende des 19. Jahrhunderts unterwegs ist, um fremde Galaxien zu erforschen, neue Zivilisationen, neues Leben. Viele Lichtjahre vom normalen Leben entfernt dringt der Tango in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
Ja, Pfeifendeckel. Von wegen 2017. Da muss was verkehrt eingestellt worden sein. Gestern Abend zumindest hat's ganz gewiss nicht gestimmt:
Ich war noch alleine da. Die Dame mir gegenüber im Saal ebenso. Sie wird eher selten vom Mannsvolk aufgefordert. Hübsche Musik, kann man nicht liegenlassen. Da ich mit ihr gerne tanze, blicken wir uns artig regelkonform an, lächeln, ich gehe zu ihr und nehme schon mal meine Brille ab.
Auf dem letzten Viertel des Weges schneidet mir einer der lokalen Eingeborenen - ein männliches Exemplar - den Weg ab, grinst und versucht, meine Hand zu packen. Meine Zieldame sitzt. Lächelt. Demütig etwa?
Meinen Einwand, dass da schon ein anderer Aufforderungsprozess läuft - ich zeige ihm meine Partnerin - wischt er beiseite: "Das könnt's ihr ja später machen!", und schleift mich abrazierend auf die Piste. Mein "Hey, Moment einmal..." bleibt mir trotz garagentorweit-offener Gosch'n im Halse stecken. Ich bin einfach nur perplex ob dieses Verhaltens. Nicht nur, dass er der Dame die Tanzgelegenheit vor der Nase wegschnappt, er brüskiert auch mich, weil ich schon pflege, Versprechen einzuhalten.
In seiner Vorstellung gelte ich wohl als Tänzerin, mit der man(n) allen möglichen, ausgefuchsten Schnickschnack veranstalten kann, den nicht viele Tangueras in der Senkrechte "stehen" können. Wilde Ausheber, Achsenkippungen und solche Geschichten. Kann ich, mach ich gern, wenn ich ganz sicher bin, dass der Tänzer weiß, was er tut. Ich kann sogar meistens kompensieren und Balance halten, wenn er das noch nicht so sicher drauf hat, und ihn außerdem gut aussehen lassen. Kein Problem. Aber wenn ein (gefühltes) Alphamännchen meint, er müsse mich, um sein Vergnügen und seinen Ruhm zu steigern, wild umeinanderschmeißen, werde ich bockig. Pardon.
Willst du Spaß, beachte meine Achse! Ohne die geht nämlich nix.
Wenn es die Vernunft zusätzlich gebietet, auf Sicherheit zu tanzen, weil das Parkett einer Eisbahn gleicht, erst recht. Wird dem Esel zu wohl, geht er auf's Eis - würde meine Oma jetzt sagen. Sollen Esel übermütig werden, wie sie wollen, ihre Sach' - von Weiber-Schlenzen aber war da nie die Rede!
Nach dem ersten Stück merkt der Gute an, dass letzte Woche ja mindestens zehn Männer zu viel da waren. "Eine Verschwendung wertvoller Ressourcen!" Und wenn ich da noch daher käme und Frauen auffordere, den Männern wegnähme, mache das alles noch viel schlimmer!
Die Herren könnten ja auch mit ihresgleichen tanzen, ist für ihn kein Argument. Auch, dass sie das annodazumal ebenfalls getan hätten. Er wolle sich nicht führen lassen, das könne er nicht so gut.
Noch ein weiterer Tango, in dem ich mich einspreize wie ein Katze, die du in die Waschmaschine stopfen willst. Dann Trennung in beiderseitigem Einverständnis. Er wendet sich hinfort seinen Stammtänzerinnen zu: Eingeborinnen, die seinen Stil goutieren, gleichschwingen in der Haltung "Das-Beste-für-mich-und-zwar-gleich".
Erst, als ich zurück auf meinem Platz bin, fällt mir die passende Antwort auf seine Frauen-Frauen-Aufforderungs-Verhinderungsaktion ein: "Ladys first!" Wäre echt cool gewesen. Ich schreib den Satz auf meinen internen Zettelkasten und wiederhole ihn im Stillen 23 Mal, um ihn bei der nächsten entsprechenden Situation wirklich im aktiven Repertoire zu haben. Und ärgere mich noch ein bissel nach.
Wie gesagt, der Chronometer zeigt 2017 an. Nicht 1953 oder so. Kein Fehlerlämpchen leuchtet am Gerät. Eigenartig. Da waren die Frauen doch schon in weiten Teilen gleichberechtigt?
Statt in weiblichem Emotionaldrama zu verharren, beschließe ich, die Sache wie ein Mann (!) anzugehen. Sachlich! Rational! Mit kühlem Gemüt! Wer sich wie ein Mann (!) verhält - sich das Recht der Frauen-Aufforderung herausnimmt - muss schließlich auch so rational die Fakten betrachten können. Und was ist am sachlichsten? Jep. Rechnen. (Bitte beachte: Trotz allem so Tun, bin ich immer noch eine Frau und mathematisch defizitär, sei gnädig.)
Angabe: 30 Gäste (g) auf der Milonga, davon 20 männlich (m), 10 weiblich (w).
(20*m) + (10 w)=30g
"Paaren" sich nun jeweils 1m und 1w, passiert Folgendes:
(10*m)+(10*w)=20g [tanzend]
30g-20g=10g
10g= (10*m)+(0*w)
10g ist also rein männlich. Da sämtliche w in Nutzung.
Klar?
Antwort: 10 Männergäste bleiben übrig.
Wie kann es dann sein, dass 2w übrig bleiben und miteinander tanzen?
(8*m)+(8*w)=16g [tanzend]
20m-8m=12m
10w-8w=2w
Aha! 2 männliche Exemplare haben NICHT getanzt, eine Verpaarung verweigert. Daraus folgt, dass 2 Gästinnen sitzen blieben. Sonst hätte die eine ja gar keine Gelegenheit gehabt, die andere aktiv aufzufordern.
q.e.d. (was zu beweisen war)
Nein, ich korrigiere: q.e.e. (was zu erwarten war)
Eine andere Möglichkeit, die Situation zu lösen, möchte ich den Männer-tanzen-miteinand-Verweigerern anbieten. (Für's Weibsvolk wäre folgende Sicht der Dinge eh klar.)
It takes 2 to tango! Richtig?
Einer führt. Einer folgt. Richtig?
Willst du als Mann nicht geführt werden oder meinst, es nicht zu können, bliebe auch hier in 50% die führende Rolle. Richtig?
Also? Wo liegt das Problem?
Was, du magst keine Männer anfassen? Das fühlt sich nicht gut an? Jetzt komm mir hier nicht mit so einem Gefühls-Schmus daher! Weibisch!
Mei, ist das alles logisch und sachlich und faktisch und so! So männlich. Macht Spaß! Echt!
Manchmal bin ich wirklich froh, dass heute sowas nicht mehr der Hexenbranche zugeschrieben wird. Und selbige einfach durch Verbrennen zu entfernen, ist auch nicht mehr gesellschaftlich kompatibel.
Aber ich will jetzt trotzdem, zurück im gewohnt-XX-gesteuerten Hirn, noch erwähnen, dass der oben beschriebene Eingeborene meiner Freundin kräftig auf den Fuß gelatscht ist. Ob er sich entschuldigt hat, weiß ich nicht.
Damit hat er sich bei mir aber endgültig 's Kraut ausg'schütt!
Ganz ohne faktisch-sachliche Betrachtung.
Live long and prosper.
Ende der Folge.
Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel
"und schleift mich abrazierend auf die Piste."
AntwortenLöschenUnd das hast du dir gefallen lassen? Sorry, daß ich da nur meinen Kopf schütteln kann ...
Lieber Robert,
AntwortenLöschenja, ich war einfach perplex UND ZU LANGSAM in Hirn und Gosch'n. Für solche Situationen hätt' ich gern einen Pausenknopf, um mich kurz zu besinnen, mir dann eine richtig schlagfertige, obercoole Antwort auszudenken (oder selbige aus dem Zettelkasten zu kramen) und dann total-super-emanzipiert-trotzdem-politisch-korrekt-vorbildlich-und-irgendwie-satirisch-wertvoll-ohne-verbissen-zu-sein zu reagieren.
Gelingt dir das immer? Falls ja, wie? Freue mich über Tipps.
Dazu bedenke den Unterschied zwischen deinem und meinem Gewicht: Mit wem hätte es der besagte Herr wohl leichter gehabt?
Herzliche Grüße,
Manu
Nein, mir fällt auch nicht immer DIE schlagfertige, obercoole Antwort ein. Aber ich meine, ein "nein, ich tanze jetzt schon mit jemand anderem. Du kannst mich ja später auffordern" muss hier doch genügen. Festhalten (und auf die Tanzfläche schleppen) geht doch gar nicht, das verdient dann höchstens ein eisiges "lass mich sofort los!". Oder etwa nicht?
AntwortenLöschenOh ja, dass die richtige Antwort einem leider erst zu spät in den Sinn kommt, kenne ich, und den Moment der perplexen Handlungsunfähigkeit auch. Nun gut, es ist ja zum Glück "nur" Tango.
AntwortenLöschenSpannender finde ich, dass es nicht selten ist, dass bei "Herrenüberschuss" einige Herren plötzlich mit einer geradezu unverschämten Anspruchshaltung auftreten: "Ich habe bezahlt, nun will ich auch tanzen - und zwar mit Damen." Und dafür ist ihnen dann fast jedes Mittel recht. Da kann ich nur den Kopf schütteln.
Liebe Laura,
AntwortenLöschenmanchmal schreibe ich mir sogar die superguten, aber einfach viel zu spät in meinem Hirn angekommenen Antworten wirklich auf einen Zettel und lerne sie auswendig. Dann habe ich selbige in einer ähnlichen Zukunftssituation parat. Selbst ist die Frau!
(Mein Favorit: "Einen Sch... muss ich!")
Und ich bin ja schon groß genug, um abends fortgehen zu dürfen. Also auch groß genug, um Situationen wie obige zu händeln ohne in großes "Ach weh!-Drama" zu verfallen.
Oder einfach verbal / nonverbal mal ein "Nein" kundzutun. Die potentiellen, unwirschen Folgen aushalten gehört halt dazu und bringt nicht um. Dafür entsteht manchmal ein hübscher Blogartikel...
Herzliche Grüße ins tango-vibrierende Berlin!
Manuela