"Unheilpraktiker" - Gedanken zum Buch und zum Heilpraktikerberuf


Anousch Mueller:  "Unheilpraktiker: Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen" (Riemann Verlag 2016,  224 Seiten, Taschenbuch oder E-Book)
Buchzitate sind kursiv markiert.

Die Autorin: 

geb. 1979, verheiratet, 1 Sohn, lebt in Berlin, Studium der Neueren Deutschen Literatur sowie Jüdischen Studien

Aufgrund eigener körperlicher Beschwerden, die schulmedizinisch nicht lösbar waren, suchte Anousch Müller Hilfe im naturheilkundlichen Bereich, in dem sie sich - zunächst - verstanden und aufgehoben fühlte. Wohl so gut versorgt, dass sie auch eine berufliche Alternative im Heilkundlerberuf sah und zwei Jahre lang eine Heilpraktikerschule besuchte.

Während dieser Zeit kamen ihr die ersten Zweifel, genährt von ihr eigenartig scheinenden Methoden, Weltanschauungen der Ausbilder und esoterischer Verbrämung der Inhalte. Das schürte wohl ihre Neugier, zu hinterfragen, "was es mit der Alternativmedizin auf sich hat". Die Veröffentlichungen von Kritikern dieser heilkundlichen Sparte wertete sie schließlich als glaubwürdiger als die Inhalte der Heilpraktiker-Schule. So nahm sie von ihrem Berufswunsch "Heilpraktikerin" Abstand, auch weil sie ein Kind und einen Buchvertrag für ihren Roman bekam. Ob und mit welchem Ergebnis sie die Prüfung absolvierte, wird nach meinem Kenntnisstand nicht erwähnt.

In der Schwangerschaft und anschließend als junge Mutter kamen die "Zweifelthemen" (Homöopathie, Impfangst, Esoterik) zurück. Daraus resultierte ihre endgültige Abkehr von der Naturheilkunde. Es folgte eine kritische Recherche der "Non-Schulmedizin". Nach einer Veröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung bekam sie das Angebot, ein Sachbuch über die "Abgründe der vermeintlichen sanften Medizin" zu schreiben.
(https://unheilpraktiker.de/autorin/)

Der Verlag

Interessanterweise finden sich in dessen Katalog auch folgende Bücher: "Zucker-Krankheit Alzheimer", "Veganize your life" von Renato Pichler und Rüdiger Dahlke sowie "Der Heilungscode der Natur", Taschenapotheke Naturheilkunde", "Die Botschaften unseres Körpers", "Der Darm-IQ", Bücher über Finger Qi-Gong, Heilsteine, Schüsslersalze. (http://www.randomhouse.de/Verlag/Riemann/8000.rhd "Naturheilkunde" im Suchfenster eingegeben)

Da drängt sich mir die Frage auf, ob die polarisierende Bearbeitung des Themas dem Verlag nicht vor allem hohe Verkaufszahlen verspricht? Sag einmal ganz laut nachmittags auf einem Spielplatz "Impfen!" und beobachte die Mütter! Dann weißt du, was ich meine. Was und wieviel in Frau Muellers Skript zu diesem Behufe vom Verlag hinein- oder hinauslektoriert wurde, würde mich interessieren.

Der Inhalt des Buchs

"Für viele Patienten sind Heilpraktiker die letzte Hoffnung – scheinen sie doch eine natürliche, ganzheitliche, menschlichere Medizin anzuwenden, die sich von der kalten „Apparatemedizin“ abgrenzt. Nur wenige wissen jedoch, worauf sie sich womöglich einlassen: Es gibt keine geregelte Ausbildung. Heilpraktiker-Anwärter werden mit irrationalen Theorien indoktriniert. Und während von medizinisch sinnvollen Behandlungen abgeraten wird, muss mancher Patient als Versuchskaninchen für heillose Praktiken herhalten. (...)"
So beginnt das Vorwort.

Die recht eigenartige Entstehungsgeschichte und den kargen Inhalt des Heilpraktikergesetzes schildert sie ausführlich. Hinweise auf andere Gesetze, die den Handlungsspielraum extrem einschränken, werden nur ganz leise angedeutet oder fehlen komplett (Durchführungsverordnung über die Vereinheitlichung im Gesundheitswesen, Infektionsschutzgesetz, Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens, Betäubungsmittelgesetz, Hebammengesetz, Medizinproduktegesetz, Röntgenverordnung etc.).

Insgesamt bemängelt sie das Zulassungsverfahren: Es handele sich hierbei lediglich um eine Überprüfung, ob der zukünftige Heilpraktiker eine Gefährdung der Volksgesundheit darstelle. Abgefragt werde nur "Universitätsmedizin", aber kaum Kenntisse und Methoden der alternativen Heilkunde.
"Es ist den Gesundheitsämtern egal, welchen Humbug der künftige Heilpraktiker treibt, solange er in der Lage ist, bösartige, hochinfektiöse oder lebensbedrohliche Zustände zu erkennen." 
Diese Aussage kann ich nach meiner Erfahrung so nicht bestätigen. "Meine" Prüfungskommision hat sehr wohl  interessiert, was ich mit meinem "Schein" vorhabe. Die heilpraktischen Zukunftspläne beeinflussen - hier in Augsburg zumindest - die Entscheidung des Gesundheitsamts, ob zugelassen wird oder eben nicht.

Das folgende Kapitel befasst sich mit der Ausbildungssituation, die nicht klar geregelt ist und keiner Kontrolle unterliegt. Es handele sich hier nicht um eine Vorbereitung auf den Heilpraktikerberuf, sondern um die Vorbereitung zur Prüfung. Die Autorin merkt an, dass ein "Schulbesuch" nicht zwingend nötig sei, um sich zur Überprüfung anzumelden, die aus 60 Multiple Choice-Fragen und einem mündlichen Teil besteht.

Handwerkszeug, Techniken und Methoden sowie Erste Hilfe-Maßnahmen würden nicht überprüft: "Das ist fast so, als dürfe man Flugzeuge fliegen, nur weil man 'Motorflug kompakt' auswendig gelernt hat." Die Sorgfaltspflicht wird zwar erwähnt, "Doch wer kontrolliert das schon?"
Das ausgelutschte Beispiel vom erlaubnisgestützt-herzoperierenden Heilpraktikerlein muss (wieder einmal) herhalten. Wie er das ohne Betäubungsmittel und Antibiose anstellen will oder mit der Sorgfaltspflicht zur Deckung bringt, ist mir schleierhaft.

Heftig beklagt sich die Autorin über die ideologische "Einnordung" auf irrationale Gegenpositionen zur Schulmedizin in der von ihr besuchten Heilpraktikerschule. Ob dies wirklich einem generellen Trend entspricht, wurde wohl kaum recherchiert - ebensowenig wie die Literatur zum Selbststudium (meinen Bücherstapel als "externe Bewerberin" kennt sie zum Beispiel nicht...). Viele Heilpraktiker kommen aus medizinischen Berufen - dass diese anschließend nur noch mit der Wünschelrute unterwegs sind, darf bezweifelt werden. (Da ich komplett im Eigenstudium gelernt habe, fehlen mir Erfahrungen zum beschriebenen Corps-Geist. Deine Erlebnisse hierzu via Kommentar wären den Lesern und mir sicher sehr wertvoll.)

Nicht nur in diesem Fall wirft Anousch Müller mehr in einen Topf, als hineingehört - als Gegenargument zur Komplementärmedizin würde sie dies als "anekdotische Beweise" bezeichnen.

"Anekdotische Beweise" versus "evidenzbasierte Wirksamkeit" ist der rote Faden, an den die Autorin ihre Argumente klammert: Die Methode "Zuwendung" kommt da zum Beispiel ganz gut weg. Auch Berührungen sollen wohl nachweislich wohltun und der Heilung zuträglich sein. Was der gesunde Menschenverstand schon wusste, kommt tatsächlich - zum Teil noch in homöopathischen Dosen - in der Schulmedizin an! Wie schön, dass es hierzu Studien gibt!

Vielen anderen Verfahren - von TCM, Homöopathie, Orthomolekulare Medizin, Reiki über Atem- oder Neuraltherapie - wird jegliche Wirkung abgesprochen: Es handele sich dabei lediglich um den (evidenzbasierten!) Placeboeffekt! Darauf sollen die Heilpraktiker doch bitteschön den Patienten ausdrücklich hinweisen, damit dieser nicht die Katze im Sack kauft.

Wie sähe das dann konkret aus?  "Trinken Sie Fencheltee gegen ihre Blähungen. Studien sagen, er wirkt eh nicht, da müssen Sie sich schon auf die Placebowirkung verlassen!"?
Oder muss ich meinen beatmeten Patient darauf hinweisen, dass meine kruden Atemübungen und die Shiatsubehandlung nicht wirken können, da es wissenschaftlich belegt kein Chi gäbe? Dass seine Spastiken abnähmen und seine (gemessene!) erhöhte Sauerstoffsättigung nur aufgrund der Placebowirkung steige?

Ich befürchte, das ist meinem Patienten heut' wurscht. Hauptsache, es schnauft sich besser. Er ist schließlich keine breit angelegte, randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie, sondern ein Mensch. Und ich auch.

Nicht nur an dieser Stelle im Buch musste ich schmunzeln. Allzuviel praktischen Erfahrungshorizont im Medizinbetrieb und im Umgang mit "echten kranken Menschen" hat die Autorin wohl nicht. Nach meiner Erfahrung nutzt die Schulmedizin ihre ausgefeilte Dramaturgie ähnlich routiniert wie die katholische Kirche.

Da inzwischen auch einigen Ärzten klar zu werden scheint, dass Patienten zur "kleinen Konkurrenz" abzudriften drohen, werden gerne die nicht evidenzbasierten Behandlungsformen als IGeL-Leistungen angeboten.  (http://www.igel-monitor.de/igel_a_z.php) Klar, das ist nicht das Thema dieses Buchs, aber die Vorwürfe "Erfinden von Krankheiten" und des Verdienens an fraglichen Therapien (Geldgier), relativieren sich bei vergleichender Betrachtung. Ich kenne keinen Heilpraktikerkollegen, der einen Jaguar fährt.

Im Kapitel "Wie Heilpraktiker Patienten verführen" skizziert die Autorin kritisch die wohlige Atmosphäre einer Heilpraktikerpraxis, in der Zeit für den Patienten aufgewendet wird. "Und Heilpraktiker sind nicht nur gute Zuhörer, sondern auch talentierte Erzähler. Sie verstehen es, Anamnese und Untersuchung zu einem sinnlichen Erlebnis zu machen, das den Patienten interessiert und integriert..." 
Was daran so schlimm ist, wird leider nicht beantwortet und weist wieder auf  mangelnde Praxis im Umgang mit Patienten.

Mit welcher "Sprache", in welchem Denkmodell die Lösungsansätze vermittelt werden, sollte meiner Meinung nach den Heilpraktikern überlassen werden. Manchmal frage ich sogar einen Patienten, ob er lieber eine "chinesische" oder "muskelkettenbezogene" Interpretation seiner Beschwerden wünscht. 

"Zuwendung und Zuhören" scheinen sich für Ärzte als Zusatzleistung nicht zu rentieren. Sie werden im IGeL-Katalog nicht angegeben.

Fairerweise muss ich aber die zahlreichen Allgemeinärzte erwähnen, denen sehr wohl an einer guten Patientenversorgung (mit Gesprächen und Anfassen) gelegen ist, die aber dafür schlicht keine Zeit haben. Meiner Erfahrung nach sind gerade solche Mediziner froh, wenn diesen Bereich der Heilpraktiker abdecken kann - oder die Krankenschwester  - am besten beide in einer Person.

Seriöses und professionelles Auftreten hat mir in vielen Fällen ermöglicht, mit - statt gegen - den Hausarzt zu arbeiten. Sieht er die positiven Wirkungen meiner Methoden am Patienten, räumt das so manchen Zweifel aus. Von solch guten Kontakten und Kooperationen auf Augenhöhe profitieren die Patienten enorm.

Die Arbeit mit einem Patienten an den Basics zum Gesundwerden und Gesundbleiben (siehe Artikel "Was fehlt ihm denn"), ihm zu helfen, sein Leben zu ordnen, ihm medizinische Zusammenhänge erklären, ist - wenn überhaupt - nur in vereinzelten Privatarztpraxen möglich.

Diese Versorgungslücke besteht und kann nicht wegdiskutiert werden!

Die Pflege als klassische Schnittstelle zwischen Arzt und Patient böte eine gute Grundlage. Sie scheint mir momentan aber (noch) zu wenig selbstbewusst und in weisungsgebundenem Denken verhaftet.

Die Schulmedizin hat ihre Grenzen, die erkennbar werden, wenn man sich ausführlich mit ihr beschäftigt. Jenseits ihres Tellerrands liegen aber reichlich brauchbare Ansätze, die Patienten komplementär und vor allem verantwortungsvoll zu betreuen.

Hier sehe ich die Kernkompetenz und Zukunft der Heilpraktiker. 

Ich wünsche mir, dass die Frage, wer Recht hat, hintangestellt wird zugunsten:

Wie können WIR ALLE im Medizinbetrieb unsere Patienten gut versorgen?

Wär das was?


Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel

zum neuen Blog: www.tangofish.de

 Quellen / mehr zu diesem Thema:
https://www.amazon.de/Unheilpraktiker-Heilpraktiker-unserer-Gesundheit-spielen/dp/3570501957/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1465561889&sr=8-1&keywords=unheilpraktiker
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Kommentare

  1. Nicht aufregen! Nach meinen Recherchen zum Wassermann-Zeitalter verschwindet der gegenwärtige Arzttyp vollständig und wird durch den sanften Heiler ersetzt. Bücher wie das von dir zu Recht beanstandete sind letzte Gefechte gegen den Wandel. Im übrigen: In der Dermatologie ist der sogenannte Placebo-Effekt zu 70% wirksam. Eine Heilmethode muss also besser sein, sonst wird sie abgestempelt. Dem Geheilten ist das egal, also lass die Skeptiker toben. Sie erreichen nur einen Herzinfarkt, keine eigene Heilung. Mehr dazu hier:
    https://www.amazon.de/Heilung-aus-dem-Chaos-Wassermann-Zeitalters-ebook/dp/B00LAFBTPE/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1465589787&sr=1-1&keywords=%22Heilung+aus+dem+Chaos%22

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  2. Lieber Peter,
    nein, ich reg' mich nicht auf. ;)
    Oder doch, schon ein bissel.

    Anlass der Besprechung war eine Diskussion zur Buchvorstellung in der Heilpraktikergruppe bei Facebook mit dem Aufruf: "Feuer frei! :)"
    plus verlinkter Stern-Artikel.

    (http://www.stern.de/gesundheit/heilpraktiker--warum-die-sanfte-medizin-ihrer-gesundheit-schaden-kann-6848532.html)

    Daraufhin echauffierten sich die Damen und Herrn Kollegen gewaltig. Gelesen hat das Buch dortmals wohl keiner. Ich persönlich diskutiere lieber mit sauberem Hintergrundwissen. So habe ich mir erlaubt, das böse Werk auch zu LESEN und den Kollegen, die keine Zeit oder Lust haben, eine Zusammenfassung anzubieten.

    Kam nicht so gut an. Weißt ja, der Überbringer schlechter Nachrichten... Scheint sich wohl doch für ein paar Kollegen unkommod bedrohlich anzufühlen?

    Danke für den Link zu deinem Buch! Hab's gelesen, sehr empfehlenswert!

    Herzliche Grüße,
    Manuela

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  3. Robert Wachinger20. Juni 2016 um 12:40

    Hi Manu,

    hier mal meine ganz persönliche Ansicht.

    Du schreibst:
    "Ich wünsche mir, dass die Frage, wer Recht hat, hintangestellt wird zugunsten:

    Wie können WIR ALLE im Medizinbetrieb unsere Patienten gut versorgen?"

    Ich sehe das nicht als "entweder-oder" sondern als "sowohl-als auch".
    Die Frage, welche Heilmethoden wirklich funktionieren, sollte (m.M.n.) das(!) Hauptthema medizinischer Forschung sein, die Frage "wie kann man den Patienten bestmöglich und würdig versorgen" ist das Hauptthema für den Medizinbetrieb.

    Ich persönlich möchte nicht mit irgendwelchen Placebos (wie z.B. Homöopathie) "ruhiggestellt" oder beschäftigt werden, ich möchte auch keinen "sanften Heiler", ich brauche eher jemanden, der mir knallhart sagt z.B. dass ich mit einem BMI über 30 einfach zu fett bin, und dringend abnehmen soll ;-), der mir konkret sagt, welche wirksamen Therapie-Möglichkeiten es gibt usw. (und mir dann auch sagt, wenn es keine funktionierenden Therapien mehr gibt).

    Ich habe zu Heilpraktikern ein etwas zwiegespaltenes Verhältnis, weil in der Alternativmedizin ziemlich viel hirnrissiger Unsinn rumgeistert (und ich habe die etwas allzu optimistische Hoffnung, dass die wissenschaftliche "Schulmedizin" alle funktionierenden Therapien im Laufe der Zeit übernimmt und alles nicht-funktionierende auf den Müll schmeisst, das wäre das, was ich unter "wissenschaftlich" verstehe ...).

    Ciao, Robert (der ein paar (angehende) Mediziner und Medizininteressierte in der Verwandschaft hat ...(

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    1. Durch meine naturwissenschaftliche Ausbildung bin ich vermutlich wenig anfällig für esoterische Einflüsse oder blinden Glauben an Globuli, Pendel & Co.

      Seit ich jedoch vor knapp zehn Jahren erlebt habe, wie meine damalige Heilpraktikerin mich mit ein paar Nadeln binnen kurzer Zeit von einem üblen Kopfschmerz befreite – oder etwas später (zusammen mit einem Arzt für Naturheilkunde) meine Chemo- und Antikörpertherapie begleitete und ich von größeren Nebenwirkungen verschont blieb, denke ich etwas anders.

      Vor allem erlaube ich mir, damit zufrieden zu sein, dass es bei mir offenbar wirkte – oder hätte ich sagen sollen: Ohne evidenzbasierte Doppelblindstudie erkenne ich den Effekt nicht an und muss daher schon aus statistischen Gründen weiter leiden? Und übrigens: In der Anwendung des Placebo-Effekts stehen die Schulmediziner den Heilpraktikern wahrlich nicht nach!

      Es hilft nichts, allein die Methode zu bewerten – es kommt auch auf deren Anwender und die Rahmenbedingungen an, unter denen sie stattfindet. Der moderne Medizinbetrieb mit seinem Drei-Minuten-Takt, seiner Spezialisierung und Budgetorientierung ist wie geschaffen dafür, viel zu übersehen und den Patienten psychisch herunterzufahren (z.B. durch stundenlanges Herumsitzen in Wartezimmern). Es gibt auch einen Nocebo-Effekt – und den habe ich bei etlichen studierten Vollpfosten schon öfters genießen dürfen. Vielleicht hatte ich einfach Glück – aber meine beiden jetzigen Heilpraktikerinnen betreiben keine Spökenkiekerei, sondern haben eine solide medizinische bzw. pharmazeutische Ausbildung.

      „Sanft“ ist die Alternativmedizin vor allem, da sie keine rezeptpflichtigen Medikamente, Operationen oder bildgebende Verfahren verwenden darf. Dass ein BMI von über 30 statistisch ungesund ist, kann einem ein Heilpraktiker ebenso klar sagen – aber da er in der Regel keinen Porsche finanzieren muss, nimmt er sich vielleicht genügend Zeit für ein Gespräch, in der er die Ursachen solcher Entwicklungen erforscht und detaillierte Ernährungstipps gibt.

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    2. Lieber Robert,

      ja, es geht mir um die "Sowohl-als -auch-Frage"!

      Einige Zusammenhänge sind durchaus schulmedizinisch erforscht und bekannt:

      z.B. veränderte Stoffwechsel- und Hormonlagen in belastenden Situationen, die ein Heilungshemmnis darstellen. Und wenn es "nur" um Wundmanagement geht...

      Auch über den Einfluss von Oxytocin, das bei erhaltener Zuwendung ansteigt, liegen genügend Studien vor u.a. das Schmerzerleben betreffend.
      Das beginnt schon bei einem Lächeln, wenn eine ordentliche (!) Mahlzeit in der Klinik serviert wird, geht über die Zeit für Gespräche und der
      Auswahl von Therapiemaßnahmen, die genau diesem Patienten in dieser speziellen Situation helfen können, Prophylaxen, bis hin zur fachliche kompetenten Begleitung im weiteren Verlauf, auch dann, wenn der Patient "austherapiert" ist (Palliative Versorgung).
      (Damit wären wir bei der "Würde"...)

      Es finden sich wirklich genügend Ansätze, die im "klassischen" Medizinbetrieb" - aus welchen Gründen auch immer - vernachlässigt werden. (Vermutungen habe ich allerdings schon ;)

      Für die Umsetzung dieser Ansätze braucht es Heilkundler, die in dieser Versorgungslücke arbeiten können, d.h. ihr Hendwerkszeug beherrschen und auch wollen: z.B. Heilpraktiker ;)

      Sei beruhigt, HPs müssen nicht auf göttliches Geheiß Globuli verteilen, Därme reinigen oder Impfungen ablehnen ;)
      Meine Kinder sind geimpft und ich gebe auch mal im für HPs erlaubten gesetzlichen Rahmen, wenn es die Situation erfordert, "böse Chemie". Ansonsten ist meine Schatzkiste gut gefüllt mit allerlei komplementären Ansätzen, unter denen ich individuell auswähle.

      Herzliche Grüße,
      Manuela

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  4. Robert Wachinger21. Juni 2016 um 16:47

    Lieber Gerhard,

    mir geht es um eine deutliche Unterscheidung zwischen medizinischer Forschung und medizinischem Betrieb.
    Erstere hat sich (m.M.n.) eben um die (statistische!) Wirksamkeit der diversen Therapien zu kümmern.
    Während bei letzterem eben die Betreuung des Menschen im Vordergrund stehen sollte (ich weiss auch als Aussenstehendet, daß das oft nicht so ist durch Zeitmangel, Stress oder schlicht arroganten Ärzten o.ä.). Da stimme ich Manu bei, da ist auch das Lächeln, mit der eine ordentliche Mahlzeit serviert wird, extrem wichtig. Ebenso wie Zuwendung u.ä.

    Deiner Erfahrung mit deiner Heilpraktikerin stelle ich nur als einfachen Kontrast, nicht um dir deine Erfahrung abzusprechen, mal meine Erfahrung entgegen:
    ich war mal auf nem Moppedtreffen mit Übernachtung im Zelt auf einer Wiese, nach der Heimfahrt hatte ich ein entzündetes, geschwollenes Auge (ich vermute im Nachhinein irgendne allergische Reaktion auf bestimmte Gräserpollen, hab das allerdings nie überprüfen lassen). Am nächsten Tag wars dann so schlimm, dass ich mir vornahm: morgen gehst du als erstes zum Arzt (war noch ein Feiertag). Und am nächsten Tag war das alles restlos weg. Was hat mich da nun geheilt? Etwa der Gedanke an den Arzt? Oder doch einfach meine Selbstheilung? Tatsächlich gemacht hab ich NICHTS.

    Wenn ich nun zu der Zeit irgend was gemacht hätte, z.B. irgend einen homöopathischen Globulus genommen, dann wär ich jetzt wohl überzeugter Anhänger dieser Methode geworden ("weil, ich habs ja erlebt, habs vorher nicht so recht gelaubt, aber trotzdem das Mittel genommen, und prompt war mein Leiden weg" ;-) ).

    Seitdem bin ich(!) euphorischen Beschreibungen a la "mir hat das geholfen, also wirkt das auch, ich habs ja selber erlebt!!!" gegenüber ziemlich misstrauisch geworden ;-) (und erwarte von der medizinischen Forschung, daß sich ein positiver Effekt irgendeiner Wundermethode auch statisch nachweisen lässt. Ich weiss, auch da sind viele Scharlatane und Nichtskönner ...).

    Liebe Manu, sei dir gewiß, ich hab nichts gegen Heilpraktiker (meine Schwiegertochter macht da gerade eine Ausbildung). Ich hab nur was gegen Scharlatane, Schlangenölverkäufer und Vertreter von irgendwelchen Wundertherapien, mit denen man angeblich alles heilen kann ;-)) (ich denke da z.B. an die "Neue Germanische Medizin" von Hamer o.ä.)


    Liebe Grüße, Robert

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Aktualisiert am 15.10.19