Rose und der Rotz

Achtsamkeitspharisäerin trifft auf Degout mit Schnittlauch garniert


Rose ist achtsam. Das merkt man an den hübsch bebilderten Sinnsprüchen, die in hoher Anzahl auf ihrer FB-Seite den rechten Weg erleuchten. Auf selbigem ist Maskentragen verpönt, die Treffsicherheit von PCR-Tests mehr als zweifelhaft, und außerdem stirbt man mit großer Wahrscheinlichkeit eh nicht an Corona. Dafür sollte man aber schon die Maßnahmen der Regierung beklagen und die Einsamkeit der Senioren in den Heimen, die man eh nicht besucht hätte. Das hat Rose auf der Website der "Ärzte für Aufklärung" gelernt. Macht ja nix, dass es bei einem Teil der Studien zum Maskentragen um Wundinfektionen im OP geht. (Falls du, lieber Leser, plötzlich eine Not-OP vornehmen musst, z.B. Amputation nach Tango-Unfall, kannst du nun beruhigt sein, wenn du zufällig keine Maske einstecken hast.) Selbstverständlich hat sich unsere achtsame Rose als Unterstützerin eintragen lassen und wird dort zur Belohnung namentlich, mit Wohnort und Berufsbezeichnung (HP=Heilpraktikerin) geführt. Der Aufruf zur Querdenker-Demo war achtsam-liebevolle Ehrensache. Und sie lächelt.

Aber heute muss sich Rose ganz schön anstrengen, das Lächeln sauber im Gesichtchen zu behalten. Und die Flügel (Schmetterling oder Engel, je nach Tagesform) beben. Wie das? Ein so schönes Statementbild hat sie heute Vormittag veröffentlicht, mit den o.g. Erleuchtungsmerkmal-Sätzen samt der Frage, was man denn da eigentlich bekämpfe. Es stürbe sich ja nur im 1-2 Prozentbereich.

Anstatt der gewohnten Herzchen mit und ohne Rosenblättern meldet sich eine fiese Krankenschwester, zudem auch HP, zu Wort: Rose könne ja mal auf einer Intensivstation nachfragen. Das Team dort und die Menschen mit dem Plastikschlauch im Hals könnten die Frage bestimmt recht gut beantworten. Eigene Erfahrung und so. Wenn grad mal Zeit ist. Nicht schön. 

Also setzt sich die achtsame Rose an den Rechner und klopft Textbausteine zusammen. Dabei verrührt sie sorgfältig "keine Übersterblichkeit" und "Intuition" (wurde in den anderen Kommentaren schon inflationär beschworen) mit einer guten Prise Statistikzahlen zweifelhafter Herkunft, fügt "Schäden durch Beatmung bei Covid" hinzu und garniert das Ganze mit der Frage, wo diese Krankenschwester ihre Informationen denn her hätte. Arbeitet sie gar auf einer Intensivstation oder stamme ihr Wissen aus den "Mainstream-Medien". (Das ist ein ganz wichtiges Wort, fast so wichtig wie "Schlafschaf".) So weit so gut. Gutmenschiges Tagwerk erledigt.

Doch weit gefehlt! Arme Rose! Diese *** (zensiert) Krankenschwester bringt die rosige Blase zum Beben mit einer Antwort! Das stört die Harmonie! Und das wollen wir doch nicht, oder?

Aber lass uns doch mal aus der Erzählerperspektive auf das verstockte Schwesterlein schauen: Die arbeitet nämlich staatlich examiniert mit so richtig kranken Menschen. Denen helfen Globuli und Sinnsprüche nur bedingt. Die müssen mit viel Herz und Verstand gepflegt werden. Deswegen bringt unsere Krankenschwester neben 10 Jahren ambulant-intensiv-Erfahrung und Intuition auch einen Beatmungsschein mit. Die Crux an Roses hübscher Erklärung: Die hier genannten Patienten SIND schon beatmet! Darum interessiert es weder sie noch die Angehörigen, ob man beatmet oder nicht-beatmet eher überlebt. Und das schreibt diese *** (zensiert) auch noch hinein in die rosige Blase.

Wir wollen aber der blöd-pragmatischen Krankenschwester nicht unrecht tun. Noch immer juckt die Nase vom Tragen der FFP2-Maske über zehn Stunden im letzten Dienst. Und Rose weiß ja nicht, dass die Patienten doppelt so viel wiegen wie unser Schwesterle. In den Rollstuhl setzen, lagern, baden etc. in voller Montur verlangt ein zuverlässiges Deo. Das Visier lassen wir mal unberücksichtigt. Darunter muss man nur plärren wie ein Ochs, um sich verständlich zu machen. Und das bissle Beschlag auf der Brille? Geschenkt! Und konzentrieren sollt sie sich ja auch noch nebenher. Trotzdem ist unsere Pflegefachkraft froh, dass es noch keinen ihrer Patienten erwischt hat. Und dass nicht so viel gestorben wird wie auf den Intensivstationen, wo ihre Kollegen arbeiten, von denen sie ihre Infos hat. Ob die (nutzlosen?) Masken und die sonstigen wirklich aufwändigen Maßnahmen geschützt haben, ist ihr egal. Sie würde sich sogar zum Schutz ihrer Patienten Schnittlauch in die Ohren stecken, wenn es auch nur einen Hauch von Anhalt zur Wirksamkeit gäbe. 

Aber man kann doch die Rose nicht einfach so, aus dem Blauen (pardon: Sekretgelben) heraus fragen, ob sie denn schon mal solche Patienten versorgt habe?! Auf scheißharte Arbeit für Leib und Seele hinweisen? Oder Sterbende - krank an der Lunge - und deren Angehörige begleitet? Mit all dem abzusaugenden Rotz und der Panik in den Augen trotz palliativer Unterstützung? Wenn der Tod recht stinkend daher kommt? Das ist doch irrelevant und blasenpieksend, tststs...

Was soll unsere Rose denn noch tun? Sie wühlt in ihrer Textbausteinkiste, findet aber nix passendes. Wir wissen nicht sehr viel über ihren Werdegang, doch die Pflege Schwerstkranker dürfen wir wohl ausschließen. Dafür kennt sie sich total gut aus mit der schnellen Akzeptanz unseres paradoxen Daseins. Damit verdient sie schließlich ihr Geld.

"Muss das Leben anstrengend und kompliziert sein?" fragt sie auf ihrer Webseite. Als Erzählerin der Geschichte muss ich dich leider enttäuschen, liebe Rose: Ja, manchmal muss das Leben anstrengend und kompliziert sein. Blut, Schweiß, Tränen, Rotz. Viel stinkender Rotz. Auch das ist Leben. Das kann man nur achtsam-liebevoll aushalten und den Rotz beseitigen, wenn man es kann. Optimalerweise ohne sich zu erbrechen. Das kommt nicht gut bei den Angehörigen.

"Seh' ich nix, dann find'st mich nicht." Diese Methode kennst du, lieber Leser, von kleinen Kindern. Wenig erfolgversprechend? Rosarote Blasen erhaltend? Nun, weiß man's? Rose entfreundet facebookisch die degoutante Krankenschwester und löscht kurzerhand den Post samt zugehörigen Kommentaren. Vielleicht ist die Erzählerin auf einem nicht ausreichenden Erleuchtungslevel, erinnert aber daran, dass Blasen physiologischerweise irgendwann platzen im Zuge der Heilung. Vorher tut's weh.

Was uns trösten sollte, ist Rose Gruners FB-Spruch des Tages: "When you look for the good in others, you discover the best in yourself." ("Wenn Sie in anderen nach dem Guten suchen, entdecken Sie das Beste in sich." Martin Walsh)  

Ich geh jetzt schnäuzen. Vielleicht find' ich ja ein bissel Gold im Rotz...


Herzliche Grüße,
Schwesterle Manuela 

zum neuen Blog: www.tangofish.de 

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