Rugediguh! Blut ist im Schuh!

Das Märchen vom Tangoschuh


Der Prinz sucht.


Es war einmal ein Prinz, für den seine königlichen Eltern zwecks Zuführung einer geeigneten Ehekandidatin einen rauschenden Ball ausrichten ließen. Aus dem ganzen Lande strömten die Bewerberinnen daher und - natürlich! - versuchten sie den jungen Mann schwer zu beeindrucken: Herausgeputzt mit güldenem Tand schwebten sie durch den Saal, soweit es die geschnürten Mieder erlaubten. Die Luft im Saal war gestopft voll mit zuckersüßen Lächeleien Richtung Prinz. Der saß gelangweilt am Rande der Piste und hatte schon ganz trockene Augäpfel, weil er sich jegliches Blinzeln streng versagte.

Bis eine Tänzerin in sein Blickfeld geriet, die in ihren allerliebsten Schühchen sein Interesse weckte. Diese - und zwar nur diese! - wollte er haben! Die alte Turmuhr schlug schon Mitternacht, als er sich endlich durch die Massen von lüsternen Weibern in ihre Nähe vorgearbeitet hatte. Blöderweise sah er sie auf ihrem Rückzug nur noch von hinten, die Treppe hinabeilend. Dabei stolperte sie und verlor einen ihrer gläsernen Schuhe.

Er schaltete Suchanzeigen auf Facebook, recherchierte sich einen Wolf, besuchte jede noch so kleine Milonga im Königreich seines Papas, wo er den Gästinnen den Schuh des Begehrs präsentierte. Alle probierten selbigen an. Keiner der Damenfüße passte hinein! (Wie auch?). Schließlich besuchte er auf Anraten seiner werten Mama die alte Tante Google. Er war ja so unglücklich, und die Königin wollte ihn verheiratet wissen, um sich endlich zur lange geplanten Pensionsbelohnungsreise verabschieden zu können.

Tante Google spuckte tatsächlich eine Adresse aus, an der er seine Präprinzessin finden könne. Dort packte er die erstbeste, deren Fuß in den Schuh gestopft werden konnte, auf seinen Schimmel und ritt von dannen. Wären da nur nicht die Spielverderbertauben gewesen, die ihr Liedlein vom "Blut im Schuh" gesungen hätten. Blödes Volk, Viecher sollten nicht sprechen können! Die Wahrheit schon gar nicht! Dass sich die entsprechende Dame im Vorfeld einen Zeh abgehackt hatte, wollte er doch gar nicht wissen. Sie kam ihm vage bekannt vor: wahrscheinlich vom Ball auf Papas Schloss.

Aber da hilft nix. Er musste zurück: die Echte - die mit der vollständigen Zehenzahl - finden, einpackeln und heiraten. Das gesamte Anwesen wurde einer Durchsuchung unterzogen und siehe da: die lumpige Maid in der Küche war Glas-Schuh-kompatibel. Der Prinz ließ sie ein paar Schritte tanzen - links beschuht, rechts barfuß. Kein Zweifel! Keine bockige Widerrede! Kein Stolpern! Nur zuckersüße Anmut.

Also Auslöse zahlen, mitnehmen und und per Ehevertrag die Besitzansprüche festklopfen. Mama und Papa werden sich freuen!
Tadaa! Alle glücklich?!
ENDE (mit Schnörkel)


Und  die Moral von der Geschicht'?

(Ob es wirklich glücklich macht, sich einfach so von einem großkopfeten, geldigen, schuhfetischistischen Bürschlein abgreifen zu lassen, will ich hier nicht diskutieren.)

Mir stellt sich eher die Frage nach den Lehren, die in der Glasschuh-Schachtel stecken:

1. Warum quälen sich manche Frauen mit höllischen Schmerzen am Geläuf und tanzen bestenfalls medioker in Schuhen, die ihr Tanzen einschränken?


Der Tangoschuh "por las mujeres" ist vor allem eins: hochhackig. Dadurch rutscht die Belastung in den vorderen Fußbereich. Das Quergewölbe plättet sich. Drum weichen die Mittelfußknochen an den Zehengrundgelenken auseinander wie ein Fächer - am liebsten zwischen Zeigezeh und dem Großen.

Die Sehne, die den großen Zeh nach oben ziehen soll, weiß sich nicht zu helfen. Was soll sie denn dagegen tun, dass der erste Mittelfußknochen, der zum großen Zeh gehört, jetzt nicht mehr direkt unter ihr läuft? Der verdrückt sich einfach in die einzig mögliche Richtung, fort von den anderen Richtung Fußinnenkante. Der Fußdaumen will kompensieren und neigt sich mit seinem Köpflein in die Gegenrichtung und kuschelt mit den anderen Zehenbrüdern. So einfach wird man als Sehne zur Bogensehne! Mittelfußknochen eins mit Großzehe bilden den Bogen. Pfeile abschießen ist nicht. Am Fuß heißt das (irgendwann) Halux valgus und tut weh. Wirklich hübsch kommt der im Schuh bald drückende Groß-Knubbel auch nicht daher.

Den restlichen Zehenbrüdern bleibt eh nix anderes übrig als sich aneinander zu quetschen - ihr Bett in der Spitze des Schuhs ist ganz schön eng. Recken und strecken? Sich spreizen und guten Halt nach oben ins restliche Gestell vermitteln? Wie soll das gehen, wenn nur ein winziges bisschen Luft durch das Fensterlein an der Schuhspitze an die Toes peept?

Aber Tango tanzt "frau" doch in hohen Schuhen, oder? Das muss?! Wenn das nicht geht, dann musst du mit dem Tango aufhören?


Vor einiger Zeit hat mich eine Milongabesucherin angesprochen, wo man denn Tangoschuhe wie die meinen herbekäme? Vielleicht hat sie mein Getanze überzeugt? Genau solche bräuchte sie unbedingt auch! Wir blicken beide zu meinen Füßen: Jazzschuhe - flach, weich, höllebequem mit geteilter Sohle. Sie war enttäuscht und ungläubig, als ich meine Schuhe als artfremd geoutet hatte.
Die Dame war zum Zuschauen da. Nach einem Jahr Tango  - selbstredend hochhackig - und proportional wachsendem Fußschmerz habe der Orthopäde ihr den Tango streng verboten.

Dabei tanze ich noch gar nicht so lange flach und weich. Ich bin lange Zeit gar nicht auf die Idee gekommen, die Verbindung "hohe Schuhe und Tango" anzuzweifeln! Hab mich jahrelang gewundert, dass ich um's Verrecken Balance und Technik nicht weiter verbessern konnte. Bis ich mal einen ganzen Abend flachbeschuht getanzt habe, die Tangohochhacken lagen vergessen daheim. Der Tanzdruck war halt stärker als das Bedürfnis nach dem "schöne, stolze Tanguera-Gefühl".

Einfach war das erstmal nicht, ich war gezwungen, die Schritte ganz sauber zu setzen. Und tauschte den fehlenden Absatz einfach mit einem vorgestellten: rauf auf die Ballen, in der Höhe anpassbar an die Größe des jeweiligen Tanzpartners.

Wieder brauchte ich einige Zeit bis zur Erkenntnis, dass das auch nicht unbedingt sein muss. Zwischendurch sanft runter auf den ganzen Fuß und die Pfoten entspannen darf schon sein. Aber ein gutes Trainig war die Hoch-Ballenzeit trotzdem.



2. Warum können manche Frauen so elegant-vortrefflich in Schuhen tanzen, die einem Foltergerät alle Ehre machen würden?

Zugegeben - High Heels zeichnen eine wunderschöne, elegante Beinlinie. Meistens im Sitzen oder Stehen. In einigen Fällen beim Gehen oder minimalistischer, geschlossen umarmender Stehtangomanier. Manchmal beim Tangotanzen. Das sind aber meistens die Tangueras, die auch in Gummistiefeln tanzen könnten, wenn sie sollten oder wollten. Lieber ist ihnen allerdings oft, ihren Tango ein bissele zu dekorieren ;) Und ich schreibe hier von ganz normalen Frauen, die einfach gerne und schon lange tanzen. Nicht von Balletteusen, die auf der Bühne äußerst routiniert die Fuß-Blut-Schmerzen unter Lächelschminke verstecken.

Folgt der Betrachter der sexy Beinlinie nach oben und trifft auf ein verkniffenes Gesicht, schränkt das den Erotikfaktor erheblich ein. Der Zauber entsteht durch entspannt-lässige Eleganz - katzenhaft halt. Und hast du schon mal eine Katze mit Absätzen gesehen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass gut trainierte, geschmeidige Füße den klassischen Glitzi-Glänzi-Peeptoe tolerieren und vor allem händeln bzw. füßeln können! Wenn dir die Füße nicht wehtun, wenn du gut klarkommst: rein in die Hülle des Begehrs und ab auf die Piste! (Dann brauchst du auch keinen Kurs "Gehen in hohen Schuhen".)

Falls nicht, wage ich zu fragen: 
  • Warum tust du dir das an?
  • Wer tanzt Tango? Du oder deine Schuhe?
  • Willst du schön sein oder (schön) tanzen? 
  • Willst du dir im Zweifelsfall wirklich einen prinzigen Schuhfetischisten an Land ziehen, dem der Tango wurscht ist?
  • Wenn schön tanzen "nur" in bequemen Schläppchen funktioniert, warum probierst du's nicht mal öffentlich?
  • Warum lässt du deinen Pfoten nicht einfach ein wenig Zeit, stärker und geschmeidiger zu werden, bevor du dich ans Meisterinnengerät wagst?
Herrschaft! Wir haben es doch auch geschafft, bequemere Vorrichtungen zur Linderung der Schwerkraftwirkung bezüglich unserer sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale einzuführen! Ein Sport-BH aus Microfaser ist halt mal bequemer als das Schnürkorsett. Und hat den Vorteil, dass Atmen doch möglich ist.

Fazit: 

In der Arbeitsbeschreibung Tangoschuh steht lediglich:
  • Fuß vor Dreck und Tritten schützen.
  • Weich sein: Dem Fuß Bewegungsfreiheit zum Tanzen ermöglich, den Zehen Platz zum Spreizen lassen
  • Schwitzfest und gut putzbar sein.
Mehr nicht.


Deine Füße möchten ein Leben lang halten.
Sei nett zu ihnen.
Neue kaufen ist nicht. 

Der Tangoschuh ist nur ein ergänzendes Werkzeug. Ersetzbar.
Deko darf, aber muss nicht sein.

Ob in Vergrößerungsklötzen wie Vio Tangoforge, in Highheels oder barfußähnlich:
Die Tango-Ausführende bist du!

Viel Vergnügen!
Mit lieben Grüß' an deine Füß'!

Im nächsten Artikel darf der "gemeine Straßenschuh" und sein Verhältnis zum Alltags-Fuß die Hauptrolle spielen.


TangoForge ICC Sessions #1: Vio y Roberto from TangoForge on Vimeo.

Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel

zum neuen Blog: www.tangofish.de

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